Hellenistische Dichtung: Ein Kosmos in sechs Zeilen
03.03.2025
Philologin Regina Höschele ist Expertin für griechische und römische Literatur, wo sie bislang unbekannte Verbindungen aufspürt.
03.03.2025
Philologin Regina Höschele ist Expertin für griechische und römische Literatur, wo sie bislang unbekannte Verbindungen aufspürt.
hat an der LMU studiert. Heute ist sie Professorin für Griechische Philologie. | © LMU/Stephan Höck
Pygmalion hatte genug von Frauen. Lieber schuf der Bildhauer eine weibliche Statue. Die gelang ihm so gut und sah so echt aus, dass er „sein Werk mit inniger Liebe“ betrachtete. Das reichte dem Künstler jedoch bald nicht mehr. Er bat die Liebesgöttin Venus um eine Gefährtin, die seinem Werk gleichen möge. Venus verstand. Die Skulptur wurde lebendig.
Die Geschichte hat sich der römische Dichter Ovid vor mehr als 2000 Jahren ausgedacht. „Diese Erzählung hat unglaublich gewirkt. Bis in die Gegenwart hinein gibt es neue Erzählungen, die dieses Motiv variieren, und bildende Künstler, auch Maler, die diese Szene immer wieder neu imaginiert haben“, sagt Regina Höschele, seit Juli vergangenen Jahres Professorin für Griechische Philologie an der LMU.
„Weniger bekannt ist, dass auch aus der griechischen Antike viele ähnliche Anekdoten überliefert sind. Bei Ovid ist es eine fiktionale Statue. Aber in griechischen Texten lesen wir auch immer wieder von Männern, die sich in real existierende Statuen verliebt haben sollen.“ So wurden besonders viele Anekdoten um die Aphrodite-Statue ersonnen, die der Bildhauer Praxiteles im vierten Jahrhundert vor Christus geschaffen hat und die als erste nackte weibliche Statue gilt, erzählt Höschele, die fasziniert, warum solche Geschichten erzählt werden.
Ich komme aus der lateinischen Literatur und finde die griechische Literatur unglaublich faszinierend. Am meisten interessiere ich mich dafür, wo diese beiden Kulturen und Literaturen aufeinandertreffen.Regina Höschele, Inhaberin des Lehrstuhls Griechische Philologie mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt an der LMU
Die Liebe zu Statuen ist nur eines der Forschungsprojekte von Regina Höschele, deren Arbeit durch das intensive und vergleichende Studium von Texten geprägt ist. „Ich komme aus der lateinischen Literatur und finde die griechische Literatur unglaublich faszinierend. Am meisten interessiere ich mich dafür, wo diese beiden Kulturen und Literaturen aufeinandertreffen.“ An diesen Schnittstellen sucht die Philologin in ihrer Forschung in Textvergleichen nach bislang unentdeckten Bezügen, die neue Sinnebenen eröffnen.
Griechisch hat sich Regina Höschele am Ende ihrer Schulzeit selbst beigebracht. „Ich habe es heimlich unter der Schulbank gelernt“, erzählt sie und lacht bei der Erinnerung daran. „Es hat mich einfach gepackt.“ Sie hat Klassische und Mittellateinische Philologie an der LMU studiert, wo sie 2007 im Rahmen des Doktorandenkollegs „Textualität in der Vormoderne“ promoviert wurde mit einer Arbeit über Epigramme, kleine Gedichte, die ursprünglich als Inschriften fungierten, aber seit hellenistischer Zeit auch für Bücher komponiert wurden.
Anschließend wechselte sie an die University of Toronto in Kanada. „Ich hatte die unglaubliche Chance, nahtlos nach meiner Promotion eine Assistenzprofessur in Toronto zu bekommen.“ Forschungsaufenthalte führten sie an das Center for Hellenic Studies in Washington, das Institute for Advanced Study in Princeton und die Emory University in Atlanta. Seit Juli 2024 ist Regina Höschele Inhaberin des Lehrstuhls Griechische Philologie mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt an der LMU.
Wir müssen das Verhältnis griechischer Literatur zur römischen überdenken. Es gibt Jahrhunderte, wo diese Literaturen und Kulturen parallel bestanden und wo es ganz klare Interaktionen gibt, auch auf der griechischen Seite.Regina Höschele, Inhaberin des Lehrstuhls Griechische Philologie mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt an der LMU
„Wir müssen das Verhältnis griechischer Literatur zur römischen überdenken“, sagt Regina Höschele. „Bislang hat man die griechische Literatur, die ja zeitlich früher beginnt, eher separat vom Lateinischen betrachtet und Referenzen der griechischen Literatur auf die römische geleugnet. Es gibt aber Jahrhunderte, wo diese Literaturen und Kulturen parallel bestanden und wo es ganz klare Interaktionen gibt, auch auf der griechischen Seite.“
Aktuell forscht Regina Höschele unter anderem auch über eine kaiserzeitliche Epigramm-Sammlung, die zur Zeit des römischen Kaisers Nero entstanden ist, den sogenannten Kranz von Philipp von Thessaloniki. Darin hat Philipp Gedichte vom ersten Jahrhundert vor bis zum ersten Jahrhundert nach Christus, also von Vorgängern und Zeitgenossen, zu einem „Kranz geflochten“ und seine eigene Dichtung hineingearbeitet, was metaphorisch zu verstehen ist.
Ein Epigramm ist nur sechs Zeilen lang, aber man kann stundenlang seinen intertextuellen Spuren nachgehen. In Epigramm-Sammlungen treten Gedichte, die nebeneinanderstehen, zudem in einen Dialog, sodass sich ein ganzer Kosmos entfaltet, wenn man sie sukzessive liest.Regina Höschele, Inhaberin des Lehrstuhls Griechische Philologie mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt an der LMU
„Ich glaube, dass dieser Kranz als Ganzes eine Art Karte des Römischen Imperiums bildet. Es werden in vielen Gedichten verschiedene Regionen der Welt evoziert. Das ist wirklich ein Abbild dieses Imperiums, zusammengesetzt aus vielen kleinen Mosaiksteinen, die einen Eindruck über die Vielfalt der Regionen, Städte und Kulturen geben.“ Regina Höschele weist in den Gedichten unter anderem Anspielungen auf das römische Nationalepos der Aeneis nach. „Ein Epigramm ist nur sechs Zeilen lang, aber man kann stundenlang seinen intertextuellen Spuren nachgehen. In solchen Epigramm-Sammlungen treten Gedichte, die nebeneinanderstehen, zudem in einen Dialog, sodass sich ein ganzer Kosmos entfaltet, wenn man sie sukzessive liest.“
Regina Höschele beschäftigt sich auch mit einem Werk der Spätantike: der Dionysiaka, geschrieben von Nonnos im fünften Jahrhundert nach Christus, die von der Geburt und den Taten des Weingottes Dionysos erzählen. „Das ist das längste erhaltene griechische Epos. Es ist zu einer Zeit entstanden, zu der das Christentum schon einen sehr starken Status und Einfluss hatte. Da trifft die heidnische Götterwelt auf eine Zeit, in der sie bekämpft wurde.“ Regina Höschele würde gerne eine neue deutsche Übersetzung der Dionysiaka in Angriff nehmen. „Es ist ein so toller Text, der einem weiteren Publikum bislang nur schwer zugänglich ist.“
Ihre ersten Monate als Professorin an der LMU erlebt sie als „wundervoll“. Auch das Interesse der Studierenden sei toll und die Lehre mache viel Spaß. Nach so vielen Jahren im Ausland bringt die Philologin aus dem nordamerikanischen Kontext auch eine neue Perspektive auf ihr Fach mit. Höschele hat in Nordamerika einen Diskurs erlebt, der das Selbstverständnis des Fachs infrage stellt. Von dieser Erfahrung geprägt, erwartet sie, dass auch in Europa neben der Forschung die Reflexion über das eigene Fach, seine Rolle und Geschichte künftig einen breiteren Raum einnehmen wird.